Proaktiv in die Zukunft 

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Oper Leipzig

Grüne Oper? In Leipzig soll das bald schon keine Utopie mehr sein. Tobias Wolff, seit 2022 Intendant der Oper Leipzig, hat ein Nachhaltigkeitskonzept initiiert, das derzeit mit großer Energie vorangetrieben wird. 

Am Anfang eines Erkenntnisprozesses steht oft ein persönliches Erlebnis. Im Fall von Tobias Wolff handelte es sich um eine Opernproduktion während seiner Intendanz bei den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen. „Die Bühnenidee handelte davon, welchen Müll wir den nachfolgenden Generationen hinterlassen. Gleichzeitig wurde hinter den Kulissen diskutiert, ob wir Requisiten bei Amazon bestellen sollten. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass die Geschichten, die wir erzählen, nicht immer mit dem übereinstimmen, was wir tun,“ sagt Wolff. Das Thema „Klimaschutz“ hatte er bereits im Gepäck, als er sich 2019 um die Intendantenstelle an der Oper Leipzig bewarb. Als die Stadt, Trägerin des ehrwürdigen Hauses am Augustusplatz, im gleichen Jahr den Klimanotstand ausrief, kamen Wolff und sein Vorhaben, die Oper mit einem Nachhaltigkeitskonzept fit für die Zukunft zu machen, wie gerufen.  

Zertifizierung soll Klimaschutz verbindlich machen 

„Was die Umsetzung der politischen Vorgaben der Stadt angeht, sind wir sehr proaktiv“, sagt Wolff. Um Klimaziele so konkret und verbindlich zu halten, strebt das Haus eine Zertifizierung nach DIN-Norm DIN-ISO 20121 an. Sie wurde im Umfeld der Olympischen Spiele in London 2012 entwickelt und dient Kultur- und Eventveranstalter:innen als Richtlinie für die klima- und ressourcenschonende Planung und Durchführung von Veranstaltungen. „Das System sieht vor, dass wir Ziele festlegen in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen“, erklärt Wolff. „Im Rahmen der Zertifizierung werden diese dann formuliert, und hinterher müssen wir sehen, dass wir sie einhalten.“ Das Zertifikat zu bekommen, weiß der Intendant, ist weniger schwierig, als es zu behalten – die erreichten Ziele werden jeweils um neue Ziele ergänzt.

Es ist ein langsamer Prozess, auch weil es sich um einen großen Betrieb handelt. Immerhin geht es um die Transformation einer gesamten Betriebskultur.

Zwei Jahre, bis 2024, haben Tobias Wolff und sein Team als Zeitmarke zum Erreichen der Zertifizierung gesetzt. Am Anfang stand dabei die Frage, wie viele klimaschädigende Emissionen das Haus überhaupt produziert und bei welchen Gelegenheiten. „Wir haben alle relevanten Daten gesammelt, von der Verwaltung über den Spielbetrieb bis zur Mobilität“, sagt Tobias Wolff, der bereits vor seinem Amtsantritt ein enges Netzwerk aus internationalen Vertreter:innen der Kulturszene und Nachhaltigkeitsexpert:innen aufgebaut hat. Eine besondere Rolle spielt dabei die Zusammenarbeit mit der Berliner Hochschule für Technik. Den dort lehrenden Professor für Veranstaltungsmanagement und -technik Thomas Sakschewski hatte Wolff über Empfehlungen kennengelernt. Sakschewski stellte nicht nur seine Nachhaltigkeits-Expertise zur Verfügung, sondern brachte Tobias Wolff auch in Kontakt mit seinem studentischen Mitarbeiter Lucas Zimmermann, der heute als Projektkoordinator für das Zertifizierungsverfahren zuständig ist. Darüber hinaus gibt es seit August 2022 eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzt und schon jetzt damit beginnt, die Abläufe der Oper Leipzig darauf einzustellen. Geleitet wird sie vom Ausstattungsleiter Dirk Becker, der gleichzeitig zertifizierter Transformationsmanager für Nachhaltigkeit in der Kultur ist. Neben ihm und Lucas Zimmermann gehören Vertreter:innen der unterschiedlichen Abteilungen zur AG, von der Schreinerei über die Verwaltung bis zum Chor. Jede:r ist mit seinen Ideen willkommen, auch wenn diese von der eigenen Einflusssphäre begrenzt werden. „Natürlich würden wir gern Fahrradstellplätze vor dem Eingang zu Verfügung stellen. Aber hier reden wir von städtischem Grund, der nicht zum Opernhaus gehört.“ 

Warum sollte es keine Co2-Budgets für Opernproduktionen geben? 

Nicht zuletzt um die Datenlage zu verbessern und Erfahrungen zu sammeln, hat die Oper Leipzig noch vor der eigentlichen Zertifizierung ausgewählte Projekte mit Nachhaltigkeitsfokus initiiert. Bereits im vollen Gange ist das Projekt „Nachhaltige Kostüme“. In Kooperation mit der Isländischen Oper und gefördert von den Musiktheaterinitiativen Opera Europa und FEDORA, soll in seinem Rahmen anhand von drei Opernproduktionen der Lebenszyklus von Kostümen analysiert und Wesentliches in Bezug auf nachhaltige Beschaffung, Herstellung, Nutzung und Entsorgung herausgefunden werden. Auch wenn das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, hat es für die Kostümabteilung der Oper Leipzig schon jetzt hilfreiche Erkenntnisse gebracht und sie in ihrer praktischen Arbeit beeinflusst. Ein weiteres Projekt beschäftigt das Haus Ende 2023: Mit Thea Musgraves „Mary, Queen of Scots“ findet die erste klimaneutrale Opernproduktion am Hause statt, gefördert mit Mitteln der Kunststiftung des Bundes.

Normalerweise denken sich Produktionsteams ein Konzept aus und wir sehen dann zusammen mit unseren Werkstätten zu, wie wir es umsetzen können. Hier haben wir zunächst eine Fundusbegehung gemacht und geschaut, was schon vorhanden ist und daraus die Ausstattungsideen entwickelt. Statt eines finanziellen Budgets geht die Oper Leipzig bei dieser Produktion von einem CO2-Budget aus.  

sagt Dirk Becker, der für diese Aufführung verantwortlich ist. Miteinbezogen werden neben der Herstellung von Bühnenbildern, Kostümen und Requisiten u.a. auch die Mobilität, die – das haben bereits die bisherigen Bilanzierungen gezeigt – den mit Abstand größten Teil des CO2-Ausstoßes verursachen. Vor allem die Mobilität des Publikums, auf die das Theater grundsätzlich nur wenig Einfluss hat. „Das Wort klimaneutral muss man daher auch in sehr große Anführungszeichen setzen“, sagt Tobias Wolff, „denn wie unser Werkstättenleiter immer so schön sagt: ‚Wenn ich einmal die Kreissäge anwerfe, sind wir schon nicht mehr klimaneutral‘.“ Auch wenn die auf das Vor-Corona-Jahr 2019 bezogenen Zahlen gezeigt hätten, dass der künstlerische Betrieb im eigentlichen Sinne nur wenig zu den Emissionen beiträgt, gäbe es hier ebenso die Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen. Dass mancher Regiestar davon möglicherweise wenig begeistert sein dürfte, ist Tobias Wolff bewusst. „Irgendwann taucht immer die Frage nach der Kunstfreiheit auf“, sagt der Intendant. „Natürlich schränken wir sie ein, aber das passiert schon in dem Moment, in dem ich ein Budget vergebe, eine Gage festsetze oder Probenzeiten definiere. Niemand geht heute mehr davon aus, dass ein unbegrenztes Budget zur Verfügung stünde. Warum sollte man dann von unbegrenzten CO2-Budgets ausgehen?“ 

Schon heute versendet die Oper Leipzig mit jeder Vertragsanlage für Regieteams den Link zum „Theatre Green Book“ der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft. „Wir haben noch nicht den Ansatz oder die Idee, wie wir die darin enthaltenen Maßnahmen für ein Grünes Theater verpflichtend machen können“, sagt Wolff.

Zumindest aber sensibilisieren wir so unsere Regieteams schon einmal, dass sie sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen, wenn sie bei uns arbeiten wollen.

Mit Interesse hat der Intendant seinen Blick auf andere europäische Häuser gerichtet, wo man bereits an entsprechenden Katalogen für künstlerische Produktionsteams sitzt. „Ich gehe davon aus, dass wir aus unserem Nachhaltigkeitskonzept verbindliche Richtlinien gewinnen können“, sagt er. Die bis dahin gewonnenen Ergebnisse sollen auch anderen lokalen Institutionen zugutekommen. Denn die Oper Leipzig ist im Bereich Klimabilanzierung auch ein Pilotprojekt der Stadt Leipzig. 

Autor:in: Stephen Schwarz-Peters. Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Deutschen Musikinformationszentrum (miz) entstanden. 
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