Als man Nachhaltigkeit noch Ökologie nannte

Next Practice

Als man Nachhaltigkeit noch Ökologie nannte

Soziokultur | Personal 

ufaFabrik, Berlin

Die Kulturorganisationen, die hier vorgestellt werden, gelten als Next Practice Beispiele für die strukturelle Verankerung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Der Begriff „Next Practice“ ist bewusst gewählt, weil er auf strukturelle Veränderungen aufmerksam machen soll, statt auf die Optimierung bestehender Strukturen. Die ufaFabrik in Berlin lässt sich nicht ohne Weiteres in diese Reihe einfügen. Es gibt hier kein Strategiepapier, keine CO₂-Bilanzierung, keinen Maßnahmenkatalog. Generell soll sich strukturell nicht viel verändern. Über die Zukunftspläne der ufaFabrik sagt die Mitgründerin Sigrid Niemer: „Im Grunde wollen wir das, was wir seit vierundvierzig Jahren tun, immer weiterentwickeln“.

Was verleiht der ufaFabrik also ihren Beispielcharakter? Satt die eigenen Strukturen zu verändern, ist die ufaFabrik selbst der Versuch, einen strukturell anderen Arbeits-, Wirtschafts- und letztlich Lebensentwurf zu realisieren. Die Geschichte der ufaFabrik veranschaulicht, was die Organisation auszeichnet und sie bis heute prägt. 1976 gründete eine Gruppe junger Berliner:innen den gemeinnützigen Verein „Fabrik für Kultur, Sport und Handwerk“ für alternative Freizeitkultur. 1979 nahmen sie das Gelände der ehemaligen UFA-Filmfabrik „friedlich wieder in Betrieb“. Ihr Ziel war es, das verlassene Gelände zu einem Ort des gemeinschaftlichen Wohnens und Arbeitens zu machen und „alles, was man im Leben braucht“ bereitzustellen. Das kritische Hinterfragen der Strukturen und Werte, die sich im Nachkriegsdeutschland festigten, prägten den Geist des Vorhabens, berichtet Sigrid Niemer, die seit erster Stunde dabei ist.

Auf der Ebene der Werte und Ziele strukturieren die drei Schwerpunkte „soziales Engagement“, „Kultur“ und „Ökologie“ die Arbeit der ufaFabrik

Ökologie ist seit der Gründung ein Schwerpunkt der ufaFabrik

Auf der Ebene der Werte und Ziele strukturieren die drei Schwerpunkte „soziales Engagement“, „Kultur“ und „Ökologie“ die Arbeit der ufaFabrik. Ganzheitliches Denken und Handeln sind von je her ein entscheidender Teil des Selbstverständnisses. Die drei Schwerpunkte werden daher stets aufeinander bezogen. Ein gutes Beispiel ist das Gästehaus, das aus dem Wunsch heraus entstand, den eingeladenen Künstler:innen den Weg ins Hotel zu ersparen. Gleichzeitig sinken damit die Emissionen im Bereich Mobilität. Um das 18.500 m² große Gelände und vor allem die Gebäude wieder nutzbar zu machen, mussten jede Menge Sanierungsarbeiten durchgeführt werden. Von Anfang an wurde auf große Lösungen gesetzt, von denen viele andere Kulturorganisationen bisher vermutlich nur träumen können. Ein eigenes Blockheizkraftwerk und Solaranlagen erzeugen Strom, Gründächer und eine Fassadenbegrünung isolieren die Gebäude und eine Regenwassersammelanlage liefert genug Wasser für die Toilettenspülungen und um die Gärten zu bewässern. Diese baulichen Maßnahmen waren auch deshalb möglich, weil man sich über viele Jahre das Vertrauen des Landes Berlin erarbeitet hat und einen langjährigen Pachtvertrag aushandeln konnte, der den Bewohner:innen in Bezug auf die Gebäude die Rechte und Pflichten von Eigentümern zugesteht. Niemer betont, dass die Pflichten, die vor allem darin bestehen, die Gebäude verkehrssicher zu erhalten, bei einem so alten Bestand nicht zu unterschätzen sind. Trotzdem ist sie zufrieden mit dem Pachtvertrag. Er entzieht das Areal dem freien Markt und schützt es vor den Spekulationen der Immobilienfirmen. Für Niemer trägt auch das zur Nachhaltigkeit bei.

Aus zivilgesellschaftlichem Engagement entstanden Kooperationen

Die Organisationsstruktur und die Wahl der Gesellschaftsform orientieren sich an dem Wunsch des gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens – wenn auch nicht auf die Weise, wie ursprünglich erhofft. Die Strukturen sollten dem Lebensentwurf der Bewohner:innen gerecht werden. Dafür war die Bündelung der Ressourcen in einer gemeinsamen Kasse zentral, erklärt Niemer. Die ersten Jahre lebten die Bewohner:innen von dem, was sie selbst erwirtschaftet haben: „Wir hatten nur unsere Hände und unseren Idealismus“. Privatbesitz gab es nicht. Mit Straßentheater, Zirkusvorstellungen, einem Café und einer der ersten Biobäckereien Berlins konnten genug Einnahmen erzielt werden, um Pacht, Strom, Wasser und die Sanierung der Gebäude zu finanzieren. Das Engagement der Bewohner:innen war ihr Startkapital. Nach einiger Zeit wurde das Finanzamt aufmerksam und forderte die Versteuerung der Einnahmen und rechtskonforme Strukturen, also die Unterscheidung der privaten Einnahmen von den Gewinnen des Unternehmens. Das Ergebnis der anderthalb Jahre andauernden Verhandlungen mit dem Finanzamt war die Gründung des ufaFabrik Berlin Vereins. Über die Jahre haben sich unter dem Dachverein zahlreiche Initiativen zu Untervereinen und Firmen emanzipiert. Darunter sind u. A. eine Freie Schule, ein Nachbarschaftszentrum, ein Bauernhof, ein Kinderzirkus, ein Hofladen und ein Café. So agiert die ufaFabrik innerhalb der gesetzlichen Vorgaben und schafft es trotzdem, Synergien entstehen zu lassen und zu nutzen. Dieser Kompromiss forderte und fordert noch immer sehr viel kreative Energie, so Niemer. Der ufaFabrik hat das nicht den Aufschwung gebracht, den man bei all der Pionierarbeit erwarten könnte: „Wir sind, was das angeht, nicht so geschäftstüchtig wie andere. Es hat für uns eine Selbstverständlichkeit und es gibt uns kein Alleinstellungsmerkmal mehr.“

Kommunikation ermöglicht die kleine Utopie ufaFabrik

Der wohl wichtigste Erfolgsfaktor für das Zusammenspiel zahlreichen und vielfältigen Initiativen ist die interne Kommunikation. Der Rat der rund 40 Bewohner:innen tagt einmal im Monat, um über die großen Belange des Dachvereins zu verhandeln und bildet damit das höchste Entscheidungsgremium. Auch diese basisdemokratische Struktur fordert von allen Beteiligten viel Geduld und die Bereitschaft, Dinge zu verhandeln und zu diskutieren. Diese ungewöhnliche Hierarchie überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass für die Bewohner:innen im Zweifelsfall nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Zuhause auf dem Spiel steht. Die Gehälter sind zwar klein, jedoch gibt es kaum eine Spanne zwischen den verschiedenen Gehaltsstufen. Statt in eine private Altersvorsorge wurden die Gewinne in den Erhalt und Ausbau der ufaFabrik und damit in das Wohl der Gemeinschaft investiert. Dafür soll die Gemeinschaft in Zukunft auch die Bewohner:innen unterstützen, die altersbedingt ihre Arbeit reduzieren. Der erste Generationswechsel – Niemer spricht von einem Generationserweiterungsprozess, denn auch die Bewohner:innen im Rentenalter dürfen sich nach wie vor beteiligen – steht nun an. Die nachrückenden Bewohner:innen haben einen anderen Lebensentwurf als die Gründungsgeneration. Um dem gerecht zu werden, soll ein neues Wohnhaus gebaut werden, das mehr Privatsphäre und Familienleben zulässt. Für die großen baulichen Vorhaben wie die Solaranlage und das Gründach wurden Förderungen bzw. Förderkredite in Anspruch genommen. Für ein Vorhaben dieser Größenordnung müssen dennoch große Rücklagen gebildet werden. Eine Herausforderung, der die ufaFabrik sich momentan annimmt. Innerhalb des kulturpolitischen Diskurses hat das Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Neben medialer Aufmerksamkeit entstanden neue Fördertöpfe und Fortbildungsprogramme. Der ufaFabrik hat das nicht den Aufschwung gebracht, den man bei all der Pionierarbeit erwarten könnte: „Wir sind was das angeht nicht so geschäftstüchtig wie andere. Es hat für uns eine Selbstverständlichkeit und es gibt uns kein Alleinstellungsmerkmal mehr“, ist Niemers Erklärung. Dabei hat die ufaFabrik bereits 2012 ein Seminar für Kulturmanager:innen unter dem Titel „Creative strategies of sustainability“ inklusive Nachhaltigkeitsleitfaden ausgerichtet. Im Netzwerk „Trans Europe Halles tauscht sich die ufaFabrik schon seit vielen Jahren mit anderen kulturellen Initiativen aus, die bestehende Immobilien zu Kulturstätten umnutzen. Eine Idee, die heute weit verbreitet ist, aber in den Anfangsjahren der ufaFabrik noch als außergewöhnlich galt. Nachhaltigkeit wurde in der ufaFabrik schon gelebt, als man sie noch Ökologie nannte. Was der ufaFabrik ihren Beispielcharakter verleiht, sind mittlerweile nicht mehr die zahlreichen Maßnahmen, die heute erfreulicherweise auch durch die ein:e oder andere:n Nachahmer:in umgesetzt wurden. Vielmehr ist es die jahrzehntelange Erfahrung mit dieser ganzheitlichen Lebens- und Arbeitsweise und ihre Rolle als lebender Beweis dafür, dass, was als „kulturelles Utopia“ bezeichnet wurde, Realität werden kann und noch immer funktioniert.

Autor:in: Lisa Schauerbeck
Foto: j-rigal, ufaFabrik
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