„Unsere AG Nachhaltigkeit war irgendwann so groß, dass wir Unter-AGs gründen mussten, um noch arbeitsfähig zu sein“ – Die Geschäftsführerin des Kultur- und Freizeitzentrum Marburg (KFZ) berichtet, wie es gelingt, das Handeln nicht abreißen zu lassen und welche Rolle der Austausch mit Ehrenamtlichen, Besucher:innen und verpartnerten Akteur:innen für den Nachhaltigkeitsprozess des Hauses spielt.
Seit wann das Kultur- und Freizeitzentrum Marburg (KFZ) im Bereich Nachhaltigkeit aktiv ist lässt sich nur schwer festlegen: „Die Soziokultur, oder auch die Kultur allgemein fängt ja meistens gar nicht bei null an“, so Anna Lena Rothenpieler, Geschäftsführerin des Soziokulturellen Zentrums. Viele Dinge, die in der ökologischen Bewegung aufkamen, waren automatisch Teil der soziokulturellen Arbeit – das hat mit dem Selbstverständnis der Zentren zu tun, die ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Themen aufgreifen. Es überrascht daher nicht, dass das KFZ – Bezug nehmend auf die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UN – ein Nachhaltigkeitsverständnis vertritt, das über Klimaschutz hinaus geht. Dennoch ließ sich in den letzten Jahren eine neue Form des Umgangs mit dem Thema am KFZ beobachten. So hat sich 2019 eine Arbeitsgruppe aus Haupt- und Ehrenamtlichen gebildet, die den Nachhaltigkeitsprozess gezielter und strategischer voranbringen wollten.
„Die Soziokultur oder auch die Kultur allgemein fängt ja meistens gar nicht bei null an.“
Seit 2021 gibt es auch in der hauptamtlichen Personalstruktur Nachhaltigkeitsbeauftragte in den verschiedenen Abteilungen. Neu ausgeschriebene Stellen enthalten in ihrer Beschreibung den Aspekt der Nachhaltigkeit. Das langfristige Ziel ist, Nachhaltigkeit in allen Bereichen selbstverständlich mitzudenken. Bis man soweit ist, braucht es einen gewissen Mehraufwand, argumentiert Rothenpieler. Die Nachhaltigkeitsbeauftragten sind also ein temporär eingesetztes Mittel und machen sich im besten Fall obsolet.
Keine konkrete Strategie, dafür sehr klare Strukturen für Nachhaltigkeit
Rothenpieler hat im Austausch mit anderen Institutionen die Erfahrung gemacht, dass oft zu viel Zeit und Energie in die Strategieentwicklung fließt. Oft lasse sich vor einem Nachhaltigkeitsprozess jedoch noch gar nicht sagen, welche Strategien angemessen sind und welche Ziele erreichbar. Eine ausformulierte Strategie und terminierte Zielsetzung gibt es am KFZ deshalb nicht. Stattdessen liegt der Fokus darauf, schnell ins Handeln zu kommen. Die Ergebnisse haben eine große motivierende Kraft, berichtet Rothenpieler. Eine gewisse Struktur gibt es dennoch. So wurden verschiedene Handlungsfelder festgelegt, die den verschiedenen Abteilungen zugeordnet sind. Darüber hinaus werden die Maßnahmen in drei Bereiche unterteilt: 1. die interne Arbeit und das Haus betreffend, 2. die Veranstaltungen, Besucher:innen und Künstler:innen betreffend und 3. die Inhalte betreffend. Innerhalb der Abteilungen werden von den jeweiligen Nachhaltigkeitsbeauftragten Maßnahmen identifiziert und in das gesamte Team kommuniziert, wo wiederum gemeinsam Prioritäten gesetzt werden. Der Status quo wird regelmäßig mit Leitfäden verglichen und reflektiert, um zu überprüfen, wo noch Handlungsbedarf besteht. So soll verhindert werden, dass Handlungsfelder übersehen werden.
Eine gewisse Struktur gibt es dennoch. So wurden verschiedene Handlungsfelder festgelegt, die den verschiedenen Abteilungen zugeordnet sind.
Mobilität wurde als erstes zu einem Arbeitsschwerpunkt erklärt, weil sie als große Stellschraube erkannt wurde. Zum einen wurde für betriebliche Fahrten ein Lastenrad angeschafft. Zum anderen erfasst das Team täglich alle Fahrten zum Arbeitsplatz und auch die Mobilität der Künstler:innen wird festgehalten. Um das Publikum zu befragen, wurde ein eigenes digitales Tool entwickelt, mit dem nicht nur das Verkehrsmittel, sondern auch Beweggründe für die Wahl desselben abgefragt werden. Da die Nutzung des ÖPNV schon länger im Ticket enthalten ist, wurde als konkrete Maßnahme die Beschreibung der Anfahrt auf der Homepage und dem Ticket überarbeitet. So wird dem Publikum die CO₂-arme Anreise erleichtert.
Um im Bereich Energie Einsparungen zu erzielen, wurde eine Energieberatung in Anspruch genommen. Die Erkenntnisse haben Rothenpieler zwar nicht überrascht, seien aber dennoch hilfreich. Dank der konkreten Daten können gezielt Maßnahmen ergriffen. Da das KFZ die Immobilie bei der Stadt Marburg mietet, erfordern viele Eingriffe Rücksprache mit der Stadt. Einige Maßnahmen waren jedoch einfach umzusetzen und bieten dabei ein enormes Energiesparpotenzial, so zum Beispiel der Wechsel von Glühbirnen zu LED-Leuchtmitteln.
Die Themen Ernährung und Wasser sind für Rothenpieler ein gutes Beispiel für das Engagement, das soziokulturelle Zentren seit jeher auszeichnet: „Hier musste niemand auf biologische oder faire Produkte umstellen“. Einige Maßnahmen, die in der Umsetzung geringen Aufwand bedeuteten und dennoch eine spürbare Wirkung erzielen, konnten schnell umgesetzt werden. Das Leitungswasser wurde von den Marburger Stadtwerken geprüft und als kostenloses Getränk in die Speisekarte aufgenommen. Andere Maßnahmen bleiben noch mehr Wunsch als Wirklichkeit. So möchte das KFZ einen Klimateller auf die Speisekarte aufnehmen. Der Klimateller macht transparent, wie viel CO₂ das Gericht in der Herstellung verursacht. Für die Auszeichnung „Klimateller“ muss diese Zahl mindestens 50 Prozent geringer sein als bei einem vergleichbaren Gericht. Damit werden Besuchenden Informationen an die Hand gegeben, die sie befähigen selbst die Konsequenzen ihrer Entscheidungen abzuwägen. Dafür fehlt dem KFZ jedoch noch der richtige gastronomische Partner.
In der externen Kommunikation wird auf das Chancennarrativ gesetzt
Weiterhing wichtig für das KFZ ist die externe Kommunikation, die nicht nur zur Bewerbung des Nachhaltigkeitsprozesses genutzt wird, sondern viel mehr als Teil der Vermittlungsarbeit verstanden wird. Großen Wert legt man darauf, die viel zitierte Geste des erhobenen Zeigefingers zu vermeiden und die Besucher:innen stattdessen zum eigenen Handeln zu animieren. Das Ziel der Veranstaltungsreihe „nachhaltigkeit@kfz“ lag laut Rothenpieler darin, den Ideen anderer eine Bühne zu bieten und Möglichkeiten des Austausches und der Vernetzung zu schaffen. Durch einen externen Open Call konnten viele Akteur:innen erreicht werden. Über 25 Veranstaltungen mit über 50 Partner:innen sind so entstanden. Rothenpieler ist überzeugt, dass man sich diese Vielfalt als Einzelne:r nicht ausdenken kann. Der außergewöhnlich große Stamm an aktiven Ehrenamtlichen ist für sie deshalb die echte Superkraft des Zentrums. Nicht nur in der eigenen Arbeit, sondern auch in der Beschaffung wird versucht – getreu dem Motto „support our local dealer“ – wann immer möglich auf lokale Kooperationen zurückzugreifen. Ein Beispiel für eine lokale Zusammenarbeit ist das Seminar zur nachhaltigen Veranstaltungsorganisation, das vom KFZ für Studierenden der Medien- und Musikwissenschaften der Universität Marburg angeboten wurde.
Auf überregionaler Ebene werden Kooperationen vor allem zum Austausch von Erfahrungen und Wissen genutzt.
Auf überregionaler Ebene werden Kooperationen vor allem zum Austausch von Erfahrungen und Wissen genutzt. Das KFZ ist unter anderem Mitglied des Netzwerks 2N2K Deutschland e. V., beteiligt sich am Projekt „nachhaltigkeit@laks“ der Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren Hessen und vertritt diese am Runden Tisch BNE der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Hessen. Das Projekt „nachhaltigkeit@laks“ bietet den beteiligten Zentren Austauschformate, aber auch Workshops mit Expert:innen zu Themen der Nachhaltigkeit und Beratungsformate ähnlich des Prinzips der kollegialen Beratung. Rothenpieler nutzt auch gerne Workshops, Vortragsreihen und ähnliche Formate – zum Beispiel dem „Global Goals Lab“ von Culture4Climate – um sich neue Anregungen für den eigenen Nachhaltigkeitsprozess zu holen und die Erfahrungen des KFZ weiterzugeben, denn „die Aufgaben sind ja dieselben! Es wäre schade, wenn jede Kulturorganisation sich alles selbst erarbeiten müsste und effizient ist es auch nicht“.
Im Rahmen von Culture4Climate bekommt das KFZ momentan Unterstützung des Öko-Instituts, um eine erste Klimabilanz zu erstellen. Bilanziert wird die Veranstaltungsreihe des Marburger Kabarett Herbstes, die das KFZ jährlich ausrichtet. Die Erkenntnisse, die diese Datenerhebung bringt, sollen dem KFZ helfen, die Veranstaltungsreihe in Zukunft CO₂-ärmer durchzuführen. Beim Gespräch mit Rothenpieler wurde deutlich: Es geht nur gemeinsam.