Pilotprojekt im Grünen

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Theater/Bühne | Personal 

HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste, Dresden

In Dresden gehört HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste zu den kulturellen Aushängeschildern. Auch was die Nachhaltigkeit betrifft, nimmt das Zentrum mit seinem zeitgenössischen Bühnenprogramm eine herausgehobene Stellung unter den städtischen Kulturbetrieben ein.

Ökologische Nachhaltigkeit hat im Dresdner Norden, wo sich HELLERAU befindet, eine ebenso lange Tradition wie die künstlerisch-kulturelle Avantgarde. In Hellerau entstand 1909 die erste Gartenstadt Deutschlands, zwei Jahre später folgte das von Heinrich Tessenow im damals hochmodernen Reformstil erbaute Festspielhaus als „Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus“: ein strahlender, mitten im Grünen gelegener Anziehungspunkt für Künstler:innen aller Sparten, das schon in seinen ersten Jahren viele bekannte Künstler wie den Dichter Rainer Maria Rilke, den Komponisten Ferruccio Busoni oder Architekten wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe anzog. Nach seiner wechselvollen Geschichte im 20. Jahrhundert hat sich das Festspielhaus in den 1990er Jahren wieder neu als Kulturort etabliert und ist seit 2004 als HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste aktiv.  Hier werden in einem interdisziplinären Programm aktuelle Arbeiten von Künstler:innen aus den Bereichen Tanz, Performance, Musik, Theater und Medienkunst gezeigt. Offene Formate, Themenschwerpunkte und Festivals bieten in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, politische und gesellschaftliche Fragen unserer Zeit aus künstlerischer Sicht zu beleuchteten und mit dem Publikum in einen Diskurs zu treten. Nicht zuletzt über die Frage: „Was tun wir gegen die Klimakrise?“

Ökologische Nachhaltigkeit in künstlerischen Produktionen mitdenken

„Wenn wir uns mit ökologischer Nachhaltigkeit beschäftigten, ist es wichtig, dieses Thema auch in unserem künstlerischen Programm abzubilden. Das haben wir beispielsweise beim Festival Cool Down im Juli 2022 realisiert, bei dem sich 21 künstlerische Positionen mit den Auswirkungen der Klimakrise beschäftigt haben“, sagt Saskia Ottis, die als Dramaturgin und Projektkoordinatorin unmittelbar in die Programmgestaltung in HELLERAU involviert ist. Das gilt sowohl für die inhaltliche Zusammenstellung als auch für die konkrete Umsetzung künstlerischer Ideen.

„Wenn wir uns mit ökologischer Nachhaltigkeit beschäftigten, ist es wichtig, dieses Thema auch in unserem künstlerischen Programm abzubilden.”

Schon seit einiger Zeit denken Saskia Ottis und das Hellerauer Team beide Aspekte bei der Programmgestaltung mit. „In der Zusammenarbeit mit Künstler:innen haben wir ein Auge darauf, wie nachhaltig ihre künstlerische Arbeit ist“, sagt Saskia Ottis. „Wir achten beispielsweise darauf, welche Materialien wir vor Ort zur Verfügung stellen, dass die An-, Abreisen und lokale Transportmittel möglichst emissionsarm sind und Auftritte internationaler Compagnien in einen sinnvollen Tourplan eingebunden werden.“ Lange Flüge beispielsweise sind ökologisch eher vertretbar, wenn man sie für eine größere Anzahl von Auftritten auf sich nimmt. Da Nachhaltigkeit jedoch nicht an der Bühnenbegrenzung aufhört, sondern von der Verwaltung über die Werkstätten bis zum Publikumsverkehr, den gesamten Betrieb umfasst, achtet man in HELLERAU schon seit einiger Zeit auf ressourcenschonendes Verhalten in der eigenen Einflusssphäre.

Pilotprojekt bringt Schwung in die Nachhaltigkeitstransformation

HELLERAU führte 2020-21 das Pilotprojekt „Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur am Beispiel HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste“ durch, das sich vor allem auf den Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) konzentrierte, aber auch weitere Nachhaltigkeitsschritte eingeleitet hat. „Die Initialzündung für das Projekt kam von der Stadt, die sich bei einem Förderprogramm des Freistaates Sachsen beworben hatte“, berichtet Henriette Roth, Leiterin der hauseigenen Kommunikationsabteilung. Auftraggeber war das Amt für Kultur und Denkmalschutz, das Wege zur Verankerung von BNE in städtischen Kulturbetrieben aufzeigen wollte, und zwar nach den Maßgaben der 2019 verabschiedeten Sächsischen Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung. „Die Auswahl der Beratungsfirma für Nachhaltigkeit, plant values, die das Projekt durchgeführt hat, erfolgte ebenfalls durch die Stadt.“ Plant values berät private und öffentliche Unternehmen bei ihrem Transformationsprozess, analysiert die Lage vor Ort, entwickelt Konzepte und bietet Schulungen an.

„Wir selbst nennen uns ‚Green Delegates‘ – denn: „Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema, da müssen wir gemeinsam ran.“

Ungeachtet der Lockdowns und Kontaktbeschränkungen, die den Projektzeitraum von September 2020 bis Januar 2021 coronabedingt überschatteten, entwickelte sich ein reger Gedankenaustausch zwischen Beratenden und Mitarbeitenden. Damit setzte sich ein intensiver Dialog fort, der ohnehin in vollem Gange war. „Schon bevor die Stadt auf uns zukam, hatten wir Ideen gesammelt, wie wir nachhaltiger werden können, vom Handtuch bis zur Diensteise“, erinnert sich Henriette Roth an die proaktive Stimmung im Haus, die durch die Beratung von plant values noch verstärkt wurde. 2020 gründete sich eine AG Nachhaltigkeit in HELLERAU, die sich aus je einer/m Vertreter:in pro Abteilung zusammensetzt. „Wir selbst nennen uns ‚Green Delegates‘“, sagt Saskia Ottis – denn: „Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema, da müssen wir gemeinsam ran“, und zwar auf allen Ebenen. „Mit plant values haben wir tatsächlich viel umfassender über das Thema geredet als es in der sehr auf BNE bezogenen Projekt-Auswertung den Anschein macht“, sagt Henriette Roth, die ebenfalls zu den Green Delegates gehört. In den Workshops behandelt wurden Aspekte wie Mobilität, Beschaffung, kulturelle Bildung, Arbeit und Kulturwandel, Verbräuche und Sensibilisierung. Sie alle werden nun gleichzeitig in HELLERAU in Angriff genommen; wobei, wie so häufig, eine gewisse Flexibilität gefragt ist.

Ökologische Nachhaltigkeit in allen Bereichen etablieren, dank der „Green Delegates“

„Eine festgelegte Strategie haben wir nicht“, sagt Saskia Ottis. Vielmehr werden die Themen bearbeitet, wie es Dringlichkeit und Kompatibilität, aber auch personelle und finanzielle Kapazitäten gebieten. „Wir arbeiten hier mit einem digitalen Board, wo wir ganz viele To Dos aufgelistet haben. Diese sind mit verschiedenen Labels versehen, die wir aus den Workshops mit plant values übernommen haben“, erläutert die Dramaturgin. Ausgehend von diesem System kümmern sich die „Green Delegates“ um Aufgaben, die für ihre Abteilung relevant sind, laden ihre Kolleg:innen zur Mitarbeit ein und haben immer einen Überblick, was noch zu tun ist und was schon abgehakt werden konnte. Darüber hinaus trifft sich die AG einmal im Monat, um weitere Schritte zu diskutieren. „Die Mitglieder nehmen auch Fortbildungen im Bereich Nachhaltigkeit wahr und tragen so Wissen von außen wieder ins Haus“, sagt Saskia Ottis.

„Mit Erstaunen haben wir etwa festgestellt, dass allein das Arbeitslicht im Großen Saal des Festspielhauses ein Drittel des gesamten Stromverbrauchs ausmacht.“

Seit 2022 arbeitet HELLERAU zusammen mit der Dresden Frankfurt Dance Company in dem von der Kulturstiftung des Bundes geförderten ZERO-Projekt „Nachhaltige Partnerschaft” und beschäftigt sich mit der Frage, wie klassische Bühnentanzprojekte ökologisch verträglich und sozial nachhaltig gestaltet werden und trotzdem als Gastspiele touren können. Auch als Vorbereitung auf die Durchführung dieses Projektes hat HELLERAU für das Vor-Corona-Jahr 2019 eine CO₂-Bilanz erstellt. Neben dem generellen Energieverbrauch für den Betrieb steht, wie in vielen Kulturbetrieben, die Mobilität des Publikums an oberster Stelle der klimaschädlichen Posten – und damit ein Faktor, auf den das Haus nur wenig Einfluss hat. Doch manchmal sind auch andere unmittelbare Probleme nicht ohne weiteres zu lösen. „Mit Erstaunen haben wir etwa festgestellt, dass allein das Arbeitslicht im Großen Saal des Festspielhauses ein Drittel des gesamten Stromverbrauchs ausmacht“, berichtet Saskia Ottis. Umstellung auf LED oder Grüne Energiequellen? Das ist nicht aus dem Stand heraus zu bewerkstelligen, wenn man als städtischer Betrieb in einem denkmalgeschützten Gebäudekomplex arbeitet und auch von übergeordneten Entscheidungen abhängig ist. Neben der Bürokratie erweisen sich oft auch finanzielle und personelle Aspekte als Hemmschuh. „Natürlich wäre es schön, wenn wir eine Person hätten, die alle Nachhaltigkeitsfragen koordiniert und vor allem inhaltliche Expertise mitbringt“, sagt Henriette Roth, „aber solange das nicht möglich ist, arbeitet das Team HELLERAU weiterhin motiviert und engagiert für einen nachhaltigen Kulturbetrieb, wissend, dass wir in einem umfangreichen Transformationsprozess stecken“.

Autor:in: Stephan Schwarz-Peters
Foto: Stephan-Floss
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