Am Deutschen Nationaltheater in Weimar steht in den kommenden Jahren eine umfangreiche Sanierung an. Moderner und energieeffizienter soll das ehrwürdige Haus mit seiner langen Theatertradition dadurch werden – doch schon heute gibt es eine Reihe an Maßnahmen und Verhaltensregeln, mit denen die Mitarbeiter:innen die Vision eines klimaneutralen Theaters vorantreiben. Dass die Kunst dabei nicht ins Hintertreffen gerät, versteht sich für die Verantwortlichen von selbst.
Wer kennt es nicht, das ikonische Gebäude der Deutschen Nationaltheaters (DNT), wie es streng und beeindruckend seinen Standort hinter dem berühmten Goethe- und Schillerdenkmal auf dem Weimarer Theaterplatz behauptet? Wirkt dieses Ensemble auch wie für die Ewigkeit geschaffen, macht sich hinter dem Rücken der beiden Dichterfürsten dennoch der Zahn der Zeit an Mauern, Fassaden, Fenstern, Leitungen und technischen Anlagen zu schaffen. Ab 2027 steht daher – wie derzeit an vielen Theatern in Deutschland – eine Generalsanierung an, die das 1907 von Max Littmann geschaffene Hauptgebäude sowie die im Norden der Stadt gelegene Nebenspielstätte Redoute umfasst; zudem soll bei der Gelegenheit ein neues Werkstättengebäude errichtet werden. Ziel des Ganzen ist nicht nur, altersbedingter Mängel und Defizite der Bausubstanz zu beseitigen, sondern auch die technische Ausstattung auf Vordermann zu bringen, die Veranstaltungs- und Bühnentechnik zu erneuern und das Haus barrierefrei zu machen. Vier bis fünf Jahre sind für die Sanierung des Drei-Sparten-Hauses vorgesehen. Im Jahr 2030 soll es dann in neuem Glanz erstrahlen: gerüstet nicht nur für neue künstlerische Höhenflüge, sondern auch in puncto Nachhaltigkeit auf dem neuesten Stand.
Generalsanierung des Theaters nach ökologischen Standards
„Das ist zumindest das Ziel“, sagt Sabine Rühl, die seit 2013 gemeinsam mit dem Generalintendanten Hasko Weber das Geschäftsführungsteam des DNT bildet. Die Kulturmanagerin sieht die anstehende Generalsanierung als zentrales Aktionsfeld, um den neoklassizistischen Bau klimaschutztechnisch fit zu machen und die Energieeffizienz des daran hängenden Betriebs vor und hinter den Kulissen zu optimieren – ein wichtiger Schritt hin zu einem klimaneutralen Theater. In der Zwischenzeit die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, bis die bautechnischen Weichen gestellt sind, ist für Sabine Rühl und die Mitarbeiter:innen des DNT allerdings keine Option. Denn auch in einem unsanierten Gebäude lassen sich Nachhaltigkeitsziele formulieren und umsetzen, das haben schon andere Kulturinstitutionen bewiesen, an denen man sich in Weimars bedeutendster Einrichtung dieser Art ein Beispiel nimmt. „Proaktiv“ lautet das Stichwort. „Die Stadt Weimar und das Land Thüringen als unsere Gesellschafter haben ebenfalls Klimagrundsätze und -ziele formuliert“, sagt Sabine Rühl, „dies und unsere gesellschaftliche Verantwortung als große Kulturinstitution war uns Ansporn und Motivation, an dieser Stelle ebenfalls etwas zu tun.”
„Die Stadt Weimar und das Land Thüringen als unsere Gesellschafter haben ebenfalls Klimagrundsätze und -ziele formuliert. Dies und unsere gesellschaftliche Verantwortung als große Kulturinstitution war uns Ansporn und Motivation, an dieser Stelle ebenfalls etwas zu tun.”
Den Anfang machte ein Beschluss der Geschäftsführer:innensitzung, der im Anschluss vom Aufsichtsrat gebilligt und Anfang 2022 veröffentlicht wurde. Sabine Rühl spricht von einem „Commitment als Unternehmen“. Darin zu finden sind Leitgedanken für ein klimaneutrales Theater, mit dem das DNT eine Vorreiterrolle für Publikum, Beschäftigte, aber auch für die gesamte Theaterlandschaft in Thüringen besetzen möchte. Erarbeitet wurde der Leitfaden von der hauseigenen Arbeitsgruppe Klimaneutralität, die sich von maßgeblichen Publikationen wie dem von britischen Kulturschaffenden entwickelten und von der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft (DTHG) für hiesige Bedürfnisse umgearbeitete „Theatre Green Book“ inspirieren ließ. „Die Klima-AG kommt einmal im Monat zusammen und steht grundsätzlich allen Mitarbeitenden offen“, erklärt Sabine Rühl. Neben der Geschäftsleitung sind auch weitere funktionale Stellen, etwa die Betriebstechnik oder die Werkstattleitung, an den Sitzungen beteiligt, um eine Anbindung an die entsprechenden Abteilungen im Haus zu gewährleisten.
Energieeffizienz überall etablieren
Konkret wurde eine Reihe von Handlungsfeldern abgesteckt, auf denen das DNT nachhaltig aktiv werden möchte. An erster Stelle steht der Energieverbrauch des Hauses. Hier geht es nicht nur um das Heizen und Klimatisieren des großzügig dimensionierten Gebäudes und seiner Nebenspielstätten, sondern auch um die Arbeit der verschiedenen Gewerke, die, von der Bühnentechnik bis zum Kulissenbau, zur Erzeugung der perfekten Theaterillusion eine große Menge an Ressourcen benötigen. Durch die Anschaffung neuer energieeffizienter Gerätschaften lässt sich ein Reduzierungseffekt rasch erzielen. Unproblematisch und schon längst vollzogen ist auch die Umstellung auf CO₂-neutrale Energie. Doch um die Fortschritte messen zu können, muss zunächst festgestellt werden, wie hoch die Emissionen durch den Betrieb des DNT überhaupt sind. Angesichts der vielen Rädchen, die hier ineinandergreifen, eine echte Puzzle-Arbeit.
„Dadurch, dass wir schon seit mehreren Jahren klimaneutralen Strom beziehen und Gas auch kompensieren können, haben wir bereits jetzt vergleichsweise geringe Emissionen. Was unsere Bilanz dann wieder hochtreibt, ist die Mobilität, sowohl die unsere Gäste als auch die der Mitarbeitenden und natürlich auch des Publikums.“
„Mehrere Jahre lang haben wir an unserer Klimabilanz gesessen“, berichtet Sabine Rühl. „Mittlerweile haben wir diese Daten vollständig erfasst, in unseren internen Netzwerken wurden auch schon Zahlen veröffentlicht.“ Ehe sie außerhalb des Hauses kommuniziert werden, sollen die eigentlichen Klimaziele des DNT aber noch weiter geschärft werden. So viel jedoch kann die Geschäftsführerin vorab verraten: „Dadurch, dass wir schon seit mehreren Jahren klimaneutralen Strom beziehen und Gas auch kompensieren können, haben wir bereits jetzt vergleichsweise geringe Emissionen. Was unsere Bilanz dann wieder hochtreibt, ist die Mobilität, sowohl die unsere Gäste als auch die der Mitarbeitenden und natürlich auch des Publikums.“ Aus diesem Grund findet sich das Thema Transport von Personen und Materialien gleich an zweiter Stelle der vom DNT verabschiedeten Leitgedanken.
Mobilität als Herausforderung
Handlungsbedarf besteht zunächst bei den Dienstreisen. Noch vor der Auswahl des Verkehrsmittels stellt sich vermehrt die Frage, welche Reisen überhaupt notwendig sind und welche entbehrlich. Auf Inlandsflüge verzichtet das DNT schon seit längerem, auch exponierten Gastkünstler:innen legt man heute statt Flugreisen oder Autofahrten eine 1.-Klasse-Nutzung der Bahn nahe. Eine vollständige Umrüstung der Fahrzeugflotte auf E-Mobilität gehört zu den mittelfristigen Projekten; bereits jetzt können Mitarbeiter:innen betrieblich per Fahrrad oder E-Bike unterwegs sein. Was die Transportlogistik angeht, wird durch vorausschauende Planung und gebündelte Transporte ebenfalls eine Menge CO₂ eingespart. Weniger konkret lässt sich hingegen die Mobilität der Besucher:innen steuern, doch attraktive Anreize können die Menschen dazu mobilisieren, klimaschonend mit Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr anzureisen. Im Kernbereich der Theaterproduktion selbst wiederum bieten sich große Chancen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit, indem man bei der Materialbeschaffung für Bühnenbild und Kostüme einerseits auf regionale Anbieter setzt und – ein ganz wichtiges Thema – auf Recycling. „In dieser Hinsicht haben wir mit unserem Fundus natürlich einen großen Schatz“, sagt Sabine Rühl, die bei allen Einsparungen den kreativen Teams im Hintergrund so viele gestalterische Freiräume wie nur möglich lassen möchte.
„Wir sind noch nicht so weit, dass wir sagen können, bis dann und dann möchten wir das und das erreicht haben..
Erfahrungen mit einer klimaneutralen Produktion wird das DNT in der Spielzeit 2023/24 mit Swaantje Lena Kleffs Theaterfassung von Goethes Die Leiden des jungen Werthers machen: einer Inszenierung, die im Programm „Fonds Zero“ der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird. In enger Zusammenarbeit mit der Regie, der Ausstattung und allen Gewerken des Hauses werden dabei gewohnte Produktionsabläufe reflektiert und an die klimarelevanten Bedarfe angepasst. Der Fokus liegt dabei auf dem Umgang mit den verwendeten Materialien der Bühnendekoration – und zwar in einer Weise, dass keine künstlerischen und fachlich-handwerklichen Kompromisse eingegangen werden sollen. „Auf keinen Fall wollen wir Kunst gegen Klimaschutz ausspielen“, betont Sabine Rühl. Jeder Stoff, jedes Material wird vor seiner Verwertung auf „Kreislauftauglichkeit“ untersucht, durch gemeinschaftliches Teilen, Recyceln, Reparieren und Leihen soll der Lebenszyklus dieser Materialien verlängert werden. Um Ausstatter:innen und Regisseur:innen die Arbeit zu erleichtern und ihnen noch mehr Anreize zu geben, mit vorhandenen Materialien zu arbeiten, plant das DNT, seinen Fundus-Bestand zu digitalisieren.
„Wir sind noch nicht so weit, dass wir sagen können: bis dann und dann möchten wir das und das erreicht haben“, sagt Sabine Rühl. Die betrieblichen Handlungsempfehlungen sowie die Arbeit der Klima-AG tragen allerdings jetzt schon Früchte im Haus. Gleichzeitig wünscht sich die Geschäftsleitung eine bessere Koordinierung der Klimamaßnahmen am Haus. Sobald die verwaltungstechnischen Voraussetzungen hierfür geschaffen sind, möchte das DNT eine eigene Stelle für eine:n Nachhaltigkeitsbeauftragte:n einrichten. Gut‘ Ding will eben nicht nur Weile haben, sondern auch mit Fachkompetenz und in verlässlichen Strukturen durchgeführt werden.